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Pinsel: nicht nur ein Werkzeug

  • Autorenbild: Eva Lenz-Collier
    Eva Lenz-Collier
  • 4. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Im Japanischen werden Werkzeuge wie der Pinsel (Fude) nicht einfach als Gegenstand betrachtet – sie sind stete Gefährten des Künstlers, durchdrungen von Geist, Erfahrung und Respekt. Im Shintōismus spricht man dem Werkzeug sogar eine Eigenseele zu. Es begleitet, formt und reflektiert denjenigen, der es nutzt.

Der Pinsel ist ein Begleiter – in jedem Strich, in jeder Bewegung, in jeder Linie.

Das gilt in besonderer Weise für die hervorragend gefertigten Pinsel aus den traditionellen japanischen Pinselzentren: Nara und Kumano.


Eine Wand in einem Pinselmuseum oder Fachgeschäft zeigt eine Vielzahl sorgfältig sortierter japanischer Pinsel. Oben hängen große Performance- oder Zeremonialpinsel, darunter feinere Schreib- und Malpinsel in verschiedenen Größen. Links befindet sich eine Tafel mit Informationen zur Herstellung. Darüber prangt ein kalligrafisches Schriftzeichen. Die Präsentation vermittelt Respekt und Hingabe gegenüber dem Werkzeug.
 Ausstellung japanischer Pinsel – Nara-Fude für Kalligrafie und Lackkunst (Photo: nara-experience.com)

Nara – Wiege der Pinselkunst seit über 1.200 Jahren


Nara gilt als Geburtsstätte der japanischen Pinselherstellung. Bereits im Jahr 806 n. Chr. brachte der buddhistische Gelehrte Kūkai die Pinsel-Technik aus China mit und etablierte sie gemeinsam mit lokalen Schreibern und Mönchen. Diese Pinsel werden nach der Nerimaze‑ho‑Methode aus bis zu zehn verschiedenen Tierhaaren zusammengestellt – von Eichhörnchen über Wildschwein bis Kaninchen.

Die Methode nerimaze-hō vermengt bis zu zehn verschiedene Tierhaare (z. B. Pferd, Eichhörnchen, Wildschwein) zu einem komplexen Haarbündel

Jede Feinheit, jeder Zug, jeder Rückstoß im Haar wird geplant. Diese Kombination verleiht den Pinseln die berühmte Flexibilität, welche die Pinselspitze formt und mit Tinte fließt.


Der japanische Pinselmeister Kazuo Suzuki arbeitet konzentriert mit Rauch und Faden an einem Pinselstück. Er trägt eine Brille und ist tief in seine handwerkliche Tätigkeit vertieft.
Shokunin Kazuo Suzuki, einer der letzten traditionellen Pinselmeister aus Nara, bei der Herstellung eines Pinsels (Photo: rimpamura-ec.com)

Die Handwerker in Nara – oft Shokunin, traditionelle Meister – durchlaufen bis zu 120 Arbeitsschritte, jede Einzelheit kontrolliert und selbst ausgeführt. Die Herstellung ist keine Massenproduktion – sie ist intime Handwerkskunst, die die Seele des Pinsels in jedem Strich spürbar macht. Selbst Jahrhunderte alte Pinsel im Shōsō-in bezeugen die Langlebigkeit und kulturelle Bedeutung dieser Perfektion .


Ein Shintō-Torii aus Stein spannt sich unter blauem Himmel auf. Daran aufgehängt: eine lange Reihe großer Schreib- oder Kalligrafiepinsel mit hellen und dunklen Borsten. Zwischen den Pinseln hängen weiße Shintō-Papierstreifen (Shide). Diese Aufnahme stammt vom Kumano Brush Festival, das jährlich zu Ehren der Pinsel und ihrer Handwerkskunst gefeiert wird.
Kumano Fude Matsuri – Zeremoniell aufgehängte Pinsel am Shintō-Torii in Hiroshima (Photo: Get Hiroshima)

Kumano – Brush Capital Japans mit Tradition und Innovation


In Kumano (Hiroshima) lebt eine ganz besondere Pinseltradition weiter: Mehr als 80 % aller japanischen Pinsel stammen aus dieser Region . Ursprünglich verkauften Landwirte dort Pinsel und Tusche auf dem Rückweg von Nara, doch bald begann man, selbst welche herzustellen .


Heute arbeiten in Kumano rund 1.500 Handwerker in über 80 Familienbetrieben, die jährlich schätzungsweise 15 Millionen Pinsel produzieren – inklusive Schreib- und Kosmetikpinsel. Jede Nadel, jeder Härchenstrang wird in bis zu 70–120 Schritten verarbeitet . Funk­tionalität und Schönheit sind hier untrennbar: auch die Griffe – häufig aus Bambus – werden liebevoll bearbeitet, sei es durch Lack oder Gratulation ins Holz.


Ein Ritualfeuer mit brennenden Pinselstielen, Flammen und Rauch. Das Bild zeigt die rituelle Verbrennung ausgedienter Pinsel beim Kumano Brush Festival in Japan.
Beim Kumano Brush Festival werden alte Pinsel mit Dankbarkeit verabschiedet – durch rituelle Verbrennung erhalten sie einen respektvollen Abschluss ihres Lebenszyklus. (Photo: GetHiroshima)

Ein herausragendes Event ist das Kumano Fude Matsuri (Brush Festival) am Herbstäquinoktium: Alt­gediente Pinsel erhalten ein symbolisches Ritualbegräbnis, denn auch Werkzeuge verdienen Dank für ihren Dienst. Gleichzeitig treffen sich Künstler, Hersteller und Besucher auf der Brush Avenue – ein lebendiges Fest für das Werkzeug selbst.


Ein Werkzeug mit Persönlichkeit – harmonisch zum Künstler


In beiden Zentren – Nara und Kumano – ist der Pinsel nicht austauschbares Verbrauchsgut, sondern ein Gegenüber: Ein langlebiger Gefährte, der mit dem Künstler lernt. Die jahrzehntelange Sorgfalt der Handwerker überträgt sich auf die Pinsel, die dem Calligraphen zuhören, reagieren, tragen und reflektieren. Jeder Pinsel ist unsere Verbindung zur Tradition – ein Werkzeug, das spricht und sich im Gebrauch entwickelt.


Ein Holzschrank mit Glasfront zeigt eine aufwendig arrangierte Sammlung traditioneller japanischer Pinsel. Die Pinsel stehen in unterschiedlichen Gefäßen oder hängen sorgfältig an Halterungen. Darunter sind Keramikschalen, Tuscheplatten und weiteres Werkzeug für Kalligrafie und Maki-e zu sehen.
Japanische Pinsel in Ladenvitrine – Kalligrafie- und Maki-e-Werkzeug aus Nara (Photo: Lynne Rutter)

Wenn Sie einen Pinsel aus Nara oder Kumano in die Hand nehmen, halten Sie mehr als nur Haar in der Hand. Sie halten das Erbe jahrhunderter Handwerkskunst, die Seele des Werkzeugs und den Respekt vor dem, was es ermöglicht. Genau wie beim Kintsugi zählt auch hier das Ineinandergreifen von äußerer Sorgfalt und innerer Haltung.




Quellen & weiterführende Links


  1. Tradition Craftsmanship Handed Down to Artisans – Nara Fude, Nara Travelers Guide (narashikanko.or.jp)


  2. Kumano: Brush Capital of Japan, CNN Travel (edition.cnn.com)


  3. The Master Stroke: Inside Japan's Kumano Brush Festival, Vogue (vogue.com)

  4. Kumano brush – Google Arts & Culture, Ritsumeikan University (artsandculture.google.com)

  5. Kumano, Hiroshima: The brush capital of Japan, Get Hiroshima (gethiroshima.com)

  6. How 200 Years of Kumano Fude Brushmaking Created the Latest Cosmetic Trends, JAL (jal.co.jp)

  7. Nara Brush Tanaka & Workshop infos, Visit Nara / Kansai Guide (the-kansai-guide.com)

  8. Discover the Art and History of Nara Brushes: Japan’s Traditional Handcrafted Masterpieces La La Love Nippon (lala-love-nippon.com)

  9. Kumano Hiroshima | The Calligraphy Brush Capital of Japan A Different Side of Japan (donnykimball.com)


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